URBAN MINING

GOLDGRUBE STADT.

Weltweit schrumpfen die Rohstoffbestände in natürlichen Lagerstätten. Die systematische Nutzung vorhandener Gebäude als Rohstofflager kann dazu beitragen, die Ressourcen der Erde zu schonen und so die Lebensgrundlagen bestehender und zukünftiger Generationen zu sichern.

22. Februar 2023 / Lesedauer: 9 Minuten
Urban Mining
Sekundärrohstoffen gehört die Zukunft.
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Der Rohstoffhunger unserer konsumorientierten Welt scheint grenzenlos. Selbst die sogenannten Zukunftstechnologien sind hiervon nicht ausgenommen: Allein in einem Windrad stecken beispielsweise rund acht Tonnen Kupfer, bei großen Offshore-Anlagen sind es bis zu 30 Tonnen. Für den Bau eines Elektrofahrzeugs werden etwa 100 Kilogramm Kupfer benötigt, rund doppelt so viel wie für einen herkömmlichen Mittelklassewagen. Im Spannungsfeld zwischen Ressourcenknappheit, wirtschaftlichem Wettbewerb und Klimaschutz kristallisieren sich Lösungsansätze heraus, die auf einem radikal neu gedachten Kreislaufgedanken basieren: der Transformation der Abfallwirtschaft zur Rohstoffindustrie. Dem Urban Mining als einer Art modernem Bergbau in der Stadt kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Unter Urban Mining wird die nachhaltige Gewinnung von Wertstoffen aus Gebäuden, aus der Infrastruktur und aus langlebigen Gütern verstanden. Wir sprechen hier von einer gewaltigen Menge an Wertstoffen: Die deutsche Volkswirtschaft setzt jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen an Materialien im Inland ein. Über Jahrzehnte hinweg haben sich auf diese Weise enorme Materialbestände angesammelt, die großes Potenzial als zukünftige Quelle für Sekundärrohstoffe besitzen. Ob Kupfer, Blei, Zink, Zinn oder Aluminium, ob Beton, Klärschlamm oder 50 Jahre alter Müll: Überall lagern wertvolle Rohstoffe, die durch Rückgewinnung wieder neu nutzbar sind. Laut dem Bundesverband Sekundärrohstoffe sind wir von einem menschengemachten Materiallager in Höhe von über 50 Milliarden Tonnen umgeben. Noch wächst dieses Lager Jahr für Jahr um weitere zehn Tonnen pro Einwohner an.

KLIMAFREUNDLICHES BAUEN.

 

Als erste Stadt Europas setzt Heidelberg konsequent auf das Urban-Mining-Prinzip: Mit ihrem Pilotprojekt »Circular City – Gebäude-Materialkataster für die Stadt Heidelberg« will sie vorhandene Gebäude systematisch als Rohstofflager nutzen und damit als Pionier der Kreislaufwirtschaft vorangehen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der derzeit größten Abfallquelle: dem Abriss von Gebäuden. Rund die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland machen Bau- und Abbruchabfälle aus, wiederverwertet wird nur ein kleiner Teil davon, und das zumeist in minderwertigerer Form. So landen bei Umbau- oder Abrissarbeiten Materialien wie Beton, Stahl, Holz oder Kunststoff meist auf der Deponie oder als Füllmaterial im Straßenbau, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Das will Heidelberg nun ändern.

Heidelberg
Heidelberg setzt Ressourcenknappheit und Klimanotstand Urban Mining entgegen.
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Für das ehrgeizige Vorhaben hat sich die Stadt erfahrene Experten im Bereich des nachhaltigen Bauens ins Boot geholt. Ziel ist eine vollständige ökonomische und ökologische Analyse des gesamten Gebäudebestands, der in einem digitalen Materialkataster zusammengefasst wird. Das Kataster soll fortan Auskunft darüber geben, welches Material in welcher Qualität und in welcher Menge verbaut wurde. Basierend auf diesen Informationen lassen sich beispielsweise Deponien und Aufbereitungsflächen entsprechend planen und eine regionale Wertschöpfung durch regionale Lieferketten und neue Geschäftsmodelle anstoßen. Das verringert die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen und lange Transportwege. Grundlage für das Kataster bildet der vom Umweltberatungsinstitut EPEA entwickelte Urban Mining Screener. Dabei handelt es sich um ein Programm, das anhand von Gebäudedaten wie beispielsweise Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung auf Knopfdruck schätzen kann. Die ersten Gebäude sind bereits erfasst: Das Patrick-Henry-Village, eine ehemalige Wohnsiedlung für Angehörige der US-Armee, ist mit rund 100 Hektar die größte Konversionsfläche Heidelbergs. Langfristig sollen hier Wohnungen für 10.000 Menschen und Raum für rund 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Noch stehen hier aber 325 Gebäude, die für die neue Siedlung saniert oder abgerissen werden müssen – ein gigantisches Rohstofflager, wie der Urban Mining Screener berechnet hat. Das Patrick-Henry-Village beinhaltet demnach rund 465.884 Tonnen Material, davon entfällt etwa die Hälfte auf Beton, ein Fünftel auf Mauersteine und gut fünf Prozent auf Metalle.

Urban Mining
Rohstofflager Stadt.
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In einem nächsten Schritt soll das Kataster vom Patrick-Henry-Village auf das gesamte Stadtgebiet Heidelbergs ausgeweitet werden. Neben Informationen zu den verbauten Materialien können in das Kataster auch Angaben wie Energieverbrauch im Gebäudebetrieb, Mietkosten oder Flächenbedarf einfließen. So entsteht nicht nur Transparenz über den Gebäudebestand, sondern eine fundierte Entscheidungsgrundlage für nachhaltiges Bauen. Die Urban-Mining-Methoden, die Heidelberg systematisch in die Praxis umsetzt, könnten schon bald anderen Städten in Deutschland und Europa als Blaupause für klimafreundliches Bauen dienen.

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