ADRENALINKICK ACHTERBAHN

NERVENKITZEL PUR.

Die einen lieben es, den anderen wird schon vom Zuschauen schlecht: Achterbahnfahren steht wahlweise für maximalen Lustgewinn oder den ultimativen Albtraum. Im Jahr 1872 wurde das irrwitzige Vergnügen zum Patent angemeldet.

21. Februar 2023 / Lesedauer: 9 Minuten
Holzachterbahn Thunderbolt
Die 1925 auf Coney Island eröffnete Holzachterbahn „Thunderbolt“ erreichte Kultstatus – nicht zuletzt als Filmkulisse für Woody Allens Film „Der Stadtneurotiker“.
© iStock

First Drop, Zero-G-Roll, Immelmann, Airtime Hill, Helix, Bunny Hop – was bei den meisten Menschen nur ratloses Schulterzucken auslöst, lässt bei eingefleischten Adrenalin-Junkies die Herzen höherschlagen. Denn die fantasievollen Wortschöpfungen beschreiben den Streckenverlauf eines weltweit einzigartigen Achterbahn-Highlights, beheimatet im 30 km nördlich von Stuttgart gelegenen Erlebnispark Tripsdrill. Die Hängeachterbahn „Hals-über-Kopf“ bildet hier gemeinsam mit der Familienachterbahn „Volldampf“ eine spektakuläre Doppelanlage. Die Streckenverläufe kreuzen sich mehrfach, sodass ein atemberaubender Wettstreit der Achterbahnen entsteht. Wie bei den meisten Achterbahn-Großprojekten ist vieles von dem, was während der Planungs- und Bauphase geleistet wurde – in diesem Fall sechs Jahre –, am Ende kaum noch sichtbar. Zum Beispiel die 229 Betonfundamente, welche die Konstruktion beider Bahnen tragen. Das größte Einzelfundament wiegt sage und schreibe über 500 Tonnen und hat eine Fläche von 135 Quadratmetern. Zudem wurden 7.400 Kubikmeter Erdreich ausgehoben und zum Teil wieder aufgefüllt. Für die Bahnen wurden 300 tonnenschwere Schienenteile und Stützen verbaut – von den unzähligen Schrauben, Bolzen und anderen Kleinteilen gar nicht zu reden.

 

MAMAA AAAAHH!

Bis zum süchtig machenden Adrenalinkick und Geschwindigkeitsrausch moderner „Coaster“ war es allerdings ein weiter Weg, der mit einem geschichtsträchtigen Datum verbunden ist: Vor mehr als 150 Jahren, am 2. Juli 1872, meldete John G. Taylor aus Baltimore das erste Patent für den Vorläufer einer Achterbahn an. Seine „Improvements in inclined railways“ stellten eine simple Berg-und-Tal-Bahn auf Schienen dar. Ob sie jemals gebaut wurde, ist nicht überliefert. Erfolgreicher war der US-Amerikaner LaMarcus Adna Thompson, der wohl wichtigste Pionier der Vergnügungsbahnen. Er ließ seine „Roller Coasting Structure“ 13 Jahre später schützen – und auch tatsächlich bauen: im berühmten Vergnügungspark auf Coney Island nahe New York. Dies war der eigentliche Durchbruch der modernen Achterbahn. Die Wurzeln dieses großen Vergnügens reichen jedoch viel weiter in die Vergangenheit. Historiker glauben, dass riesige Eisrutschen die Vorläufer waren. Die Bewohner von St. Petersburg in Russland haben sie schon im 17. Jahrhundert gebaut. Dazu zimmerten sie Rutschen aus Holz und übergossen sie im eiskalten Winter mit Wasser. Das gefror und schon gab es eine glatte Schlitterbahn zum Heruntersausen. Als die Franzosen dies Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten, wollten sie so einen Spaß auch bei sich zu Hause haben, aber am liebsten das ganze Jahr über. Also wurden aus den Eisrutschen Holzbahnen, auf denen kleine Wägelchen fuhren. Obwohl die Bahnen anders aussahen und in Paris standen, nannten die Franzosen sie „Montagnes Russes“ – russische Berge. Ein Berg, aber ein anderer, brachte auch ein paar Amerikaner auf eine ähnliche Idee. Dort bauten Arbeiter eine Bahn, um Kohle in kleinen Waggons flott ins Tal zu bringen. Maultiere mussten die Wagen anschließend wieder hochziehen, nur standen die Tiere dann eben oben. Was also tun? Anstatt die Vierbeiner den Berg hinunterlaufen zu lassen, setzten die Kohlearbeiter sie einfach auch in einen Wagen – und ab ging die Fahrt! Was den mutigen Maultieren nichts auszumachen schien, wollten Menschen dann natürlich auch probieren. Viele sogar. Als die Kohlemine 1870 schloss, blieb die 14 Kilometer lange Talfahrt geöffnet und wurde zu einem echten Besuchermagneten.

Achterbahn Tripsdrill
Hals über Kopf ins Vergnügen.
© Erlebnispark Tripsdrill/Christian Colista
Achterbahnbau Tripsdrill
Achterbahnbau ist nichts für schwache Nerven.
© Erlebnispark Tripsdrill

In Deutschland wurde das amerikanische Coaster-Konzept zum ersten Mal 1908 in der „Ausstellung München“ unter dem Namen „Riesen-Auto-Luftbahn“ vorgestellt. Die Konstruktionen waren stationär, der Aufbau war sehr aufwendig und erforderte viel Mühe von Zimmerleuten. Nur ein Jahr später wurde das Problem gelöst und die erste transportable Holzachterbahn wurde auf der „Oktoberwiesen“ eingeweiht. 1964 baute Anton Schwarzkopf, der sich schon früher mit der Produktion von Achterbahnen befasste, die erste Stahlachterbahn. Die Maximalgeschwindigkeit der Bahn betrug 50 Kilometer pro Stunde. Zum Vergleich: Heute erleben die Passagiere in den mehr als 50 deutschen Achterbahnen wilden Nervenkitzel durch Loopings, Schrauben, freien Fall und Geschwindigkeiten von bis zu 130 Kilometern pro Stunde in bis zu 70 Metern Höhe. Klassische Holzachterbahnen sind dabei ebenso beliebt wie ihre modernen Kollegen aus Stahl. Perfekte Thematisierungen und die Einbettung in fantasievolle Welten machen das Achterbahnerlebnis aber erst rund. Freizeitparkbetreiber lassen sich für die erstklassige Illusionierung einiges einfallen. Reale Orte werden authentisch nachgebildet, fiktive Welten werden erschaffen – für viele macht erst das eine Achterbahnfahrt zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Artikel kommentieren

RED gewinnt.

Mitmachen und einen attraktiven Preis gewinnen.

Frage richtig beantworten, abschicken und mit ein bisschen Glück einen tollen Preis gewinnen.